zerbrochen
Romane

Wenn das Wir zerbricht

   »Wir sind fünfzehn Jahren verheiratet. Eine lange Zeit, nicht wahr?«

   »Es sind sechszehneinhalb, um genau zu sein. Warum fragst du?«

Christian Bayllard beschleunigte, der LKW scherte zurück auf die rechte Spur.

   »Findest du auch, dass unsere Abende lang sind?«

   »Ich?«

Jaqueline sah zu ihm herüber. Sie bemerkte, dass sein Hemd am Kragen ausfranste. Ich werde es wegwerfen, dachte sie.

   »In letzter Zeit haben wir uns wenig zu sagen.«

   »Du neigst wie immer zu Untertreibungen.« Christian schüttelte den Kopf, wechselte die Hand am Steuer und schaltete das Radio leiser.

   »Unsere Interessen klaffen auseinander. Mit meinen Schwierigkeiten im Beruf muss ich selbst klar kommen, an Freizeitaktivitäten hast du kein Interesse, dir bei pädagogischen Protestaktionen gegen die Übel dieser Welt zu helfen, finde ich reichlich dumm und bei spannenden Filmen schläfst du dauernd.«

Er hob den linken Arm.

   »Ich weiss wirklich nicht, was wir beide besprechen müssten.«

   »Leider.«

Mit einer Hand warf Jaqueline die Haare über ihre Schulter und verzog geringschätzig den schmalen Mund.

   »Was machen Männer, die zwanzig Jahre verheiratet sind?«

   »Entweder haben sie ihren Stammtisch oder sind Trottel.«

   »Wie schön.«

Sie wandte ihren Kopf ab. Bitterkeit stieg in ihr hoch.

   »Dann hast du noch dreieinhalb Jahre Zeit darüber nachzudenken.«

   »Jaqueline. Muss das sein?«

Christian Bayllard überholte die lange Kette der LKW´s. Das Schild mit der Aufschrift Peage tauchte am Strassenrand auf. Er griff in seine Anzugjacke und kramte nach Kleingeld.

   »Ich weiss, dass dich meine Gegenwart langweilt, aber wir wollen wenigstens den Schein wahren.«

   »So wie bei deinem Flirt mit der Deutschen in Saarbrücken? Du hast in ihren Ausschnitt gestarrt, ein hungriges Kleinkind hätte es nicht besser gekonnt.«

Er bremste ab. Die zweispurige Fahrbahn fächerte auseinander. Die Schilder vor den Zahlstationen mahnten die Fahrt zu verlangsamen. Christian Bayllard steuerte auf eine grüne Ampel, hin zu einer der besetzten Kabinen.

   »Wenn schon. Ein wenig Schönheit ist belebend.«

Jaqueline biss auf die Lippen und starrte aus dem Fenster. In Saarbrücken sprach er noch von Urlaub und neue Welten entdecken. Normalerweise nahm er mich nie mit auf Geschäftsreisen, grübelte sie. Schatz, in der Baubranche wird vor einem Abschluss viel getrunken, das ist nichts für dich und sie glaubte ihm, jahrelang.

   Jetzt hatte sie erfahren, dass Interessenten die Kaufverträge der Baumaschinen gerne in Bordellen unterschrieben. Das ist üblich, meinte er lakonisch abends im Hotelzimmer. Soll ich draußen bleiben? Hier hast du fünfhundert Euro, amüsier dich und warte nicht auf mich.

   »Du siehst erschöpft aus.«

   »Hab viel zu tun. Lass uns nicht vom Geschäft reden.«

   »Wieso nicht? Ist der Puff dermaßen eklig?«

   »Was willst du von mir hören? Sie haben getrunken und unterschrieben. Mehr wollte ich nicht.«

   »Mit oder ohne Hilfe der Huren?« 

   »Sie waren hilfreich, ja.«

Christian schnitt eine Grimasse.

   »Das nächste Mal komm mit, dann siehst du wie das Spiel läuft.«

   »Was machst du, wenn ich Gefallen daran finde?«

Jaqueline schlug die Beine übereinander, so, dass der Rock weit nach oben rutschte.

   »Magst du das?«

Christian betätigte den elektrischen Fensterheber, stoppte den BMW und streckte der Frau in der Kabine der Peagestation einen Geldschein hin. Er legte den Coupon auf die Ablage der Frontscheibe, warf das Rückgeld ins Handschuhfach, dabei streifte sein Blick ihre Beine. Einen Augenblick lang verweilten seine Augen auf ihrem Schoss.

   Das Auto rollte an, Christian schaute auf seine Armbanduhr und drückte auf das Gaspedal.

   »Meinst du, wir schaffen es bis Sieben? Ich möchte Lionel die Verträge rechtzeitig geben.« 

Jaqueline zog den Rock herunter und drehte den Kopf zu ihrem Fenster. Tränen stiegen in ihre Augen.

   Sie dachte an ihre gemeinsame Zeit auf der Universität und den chronischen Geldmangel. Tagsüber schrieb sie an seinen Hausarbeiten, während er nachts auf dem Grossmarkt Kisten schleppte. Sie organisierte die Diplomarbeit und feierte mit ihm den Abschluss, nackt, eine Woche lang. Die zehnte Bewerbung nach der Ausnüchterungsphase war ein Volltreffer. Christian bekam den Posten eines Architekten bei der drittgrößten Bauffirma des Landes.

   Sie heirateten und Jaqueline war die glücklichste Frau Frankreichs, doch seit Christian das Wirtschaftswunder in ihre Ehe brachte, kamen mit Geld und Erfolg auch Misstrauen in ihr Herz.

   Einmal, die Erinnerung stand lebhaft vor ihren Augen, fuhr Christian nach München. Er wohnte in einem international bekannten Hotel, in dem auch die Besprechungen stattfanden.

   »Ich rufe an, wenn ich angekommen bin«, versprach er.

Sie wartete, den ganzen Vormittag, den Nachmittag, bis zum Abend. Nachts um elf wählte sie seine Nummer. Christian war auf dem Zimmer. Seine Stimme klang abgekämpft und im Hintergrund hörte sie leise, eine helle Frauenstimme.

   »Christian, warum hast du nicht angerufen?«

   »Die Arbeit, die Konferenzen, mir brummt der Schädel.«

   »Bist du auf deinem Zimmer?«

   »Natürlich, wo sonst? Ich habe mich ins Bett gelegt.«

Im Hintergrund, das war nicht zu überhören, sprach eine Frauenstimme. Sie umklammerte der Hörer, presste ihn ans Ohr und hielt den Atem an. Ein nie gekannter Schmerz durchzog ihr Herz.

   »Wer ist bei dir?«

Christians Stimme klang verwundert und sein Lachen tötete.

   »Bei mir? Niemand, ich bin allein.«

In diesem Moment brach alles heraus. Ihr Aufschrei glühte durch die Leitung.

   »Da ist eine Frau, die flüstert im Hintergrund.«

   »Das ist ein Radio. Gute Nacht.«

Danach kehrte Stille ein, er hatte aufgelegt. Die ganze Nacht lag Jaqueline wach. Sein Radio, natürlich. Das konnte sein. Im Internet recherchierte sie. Auf vier in Frage kommenden Sendern liefen vorgetragene Geschichten. Aber lauschte ein Mann, müde von Konferenzen, nachts im Bett noch einem Hörspiel?

   Bis zum Morgen weinte sie und mit jeder Träne tropfte ein Stück Vertrauen aus ihr heraus. Das Misstrauen übernahm den freien Platz, baute ihn aus zu einem Nistplatz und nährte eine gefährliche Leidenschaft, die Eifersucht. Jaqueline begann, an ihrer Ehe zu zweifeln.

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