schreibende Hure
Romane

Die schreibende Hure

Das noble 7. Arrondissement von Paris war nicht nur Anschrift des Literaturverlages „Montbrison“. Auch das Arbeitsamt für den Bezirk Mitte bot dort, nahe des Eiffelturms, seine Dienste an. Beide Hausnummern lagen dicht beieinander, auf der „rue des victoires“.

Er musterte die Frau mit ausgesprochen gemischten Gefühlen. Sie glich eher einer Geschäftsfrau, mittellange Frisur, stumpf geschnitten und über den Schultern weich nach innen gefönt. Lang genug um sexy zu wirken, aber kurz genug, dem männlichen Gegenüber zu vermitteln, dass die Trägerin möglicherweise mehr auf dem Kasten hatte. Die abgebrühte Hure, die sie vorgab zu sein, kaufte er ihr nicht ab.

   Die Frau presste die Lippen aufeinander, saß aufrecht auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch, das Kinn erhoben, nicht arrogant, doch überaus selbstbewusst.

   »Zigarette?«

Pierre Etienne beugte seinen Oberkörper nach vorn und hielt ihr ein Päckchen entgegen. Ihre auffällig lackierten Fingernägel fingerten an der Schachtel herum.

   »Danke.«

Jaqueline Vierge hielt ein Feuerzeug in der anderen Hand. Noch bevor er Feuer geben konnte, glimmte ihre Zigarette und sie blies den Rauch heraus, dabei vibrierten die Nasenflügel.

   Pierre schob den Aschenbecher in ihre Richtung. Sie bot das übliche Bild einer aufgeregten Autorin – Schüchternheit und Angst im Kampf mit Stolz, Hoffnung und der Begierde, gelobt zu werden. Das ganze überlagert von stotternder Bescheidenheit mit Hin und Herrücken auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch.

   »Um es kurz zu sagen, hier im Haus finden andere Lektoren das Buch ganz nett oder sind zumindest davon angetan.«

Ihre Selbstbeherrschung bröckelte. Immer wieder zog Jaqueline an der Zigarette.

   »Sie nicht? Ist es, zu lang?«

   »Sie sind eine wortreiche Autorin. Ich denke an Dickens, vielleicht auch ein wenig Dostojewski.«

Freude, Angst, Unsicherheit – bei jedem Wort des Lektors wechselte ihr Gesichtsausdruck. Was bedeutete das?

   »Nun gut«, sagte Etienne in abschließendem Tonfall und wies auf das Manuskript.

   »Wir brauchen eine ordentliche Dosis Flaubert. Sie wissen schon, die Kunst des Weglassens, praktisch in jedem Absatz. Ganze Kapitel sind überflüssig.«

Hinter dem geschäftsmäßigen Blick des Lektors verborgen, kauerte die eisige Unnahbarkeit eines Mannes, der schon zu viele Bücher gelesen und abgeurteilt hatte. Er genoss den fassungslosen Ausdruck in ihrem Gesicht. Jaqueline sank zusammen. Monate mühevoller Formulierungsmarathons schmolzen zusammen in ein unsicheres Lächeln.

   Auf seinem Schreibtisch lagen Manuskripte aufeinander getürmt, ein hoher Stapel übermittelter Sehnsucht, markiert mit blauen und roten Aufklebern. Etienne nahm den ersten Teil ihrer Geschichte und blätterte darin herum. Selten, dass er lebendige Charaktere, packende Szenen in einem mitreißenden Wortstrom auf den Tisch bekam. Sicher, es gab Kanten und Ecken, aber alles in allem, hob sich dieses Manuskript deutlich von dem sonst üblichen Treibgut ab.

   »Wir wollen ihr Buch veröffentlichen.« Seine Stimme sprachen die entscheidenden Worte beiläufig und ohne Leidenschaft.

   »Vorausgesetzt natürlich, dass wir uns in der Frage der Überarbeitung einigen.«

Jaqueline sprang hoch. Eine Mischung aus Tränen und Freudentaumel stand in ihren Augen.

   »Sie – Sie wollen mich veröffentlichen? Sie wollen es auf den Markt bringen?«

Ihr Freudenschrei drang durch die offene Tür auf den Gang. In anderen Räumen, warfen Angestellte des Verlages untereinander Blicke zu. Sie kannten das schon. Die Frage war nur, wie lange hatte er sie leiden lassen? Die Erregung in ihrer Stimme steckte ihn an.

   »Natürlich wollen wir es bringen. Wir hoffen, eine Menge Spaß daran zu haben und wir glauben …«

Jaqueline kam um den Schreibtisch herum, legte die Arme um den Lektor und verwickelte ihn in eine Umarmung.

   »Danke«, flüsterte sie. »Sie sind seit langem der erste Mann, der mich glücklich macht.«

   Pierre Etienne war keineswegs angenehm berührt, plötzlich umarmt und beklopft zu werden. Sein Gesicht war verschwitzt, am unteren Kinn klebte ein kleines Pflaster vom morgendlichen Rasieren. Wenigstens rochen seine Haare frisch gewaschen nach Frühling.

   »Aber Madame Vierge, schon gut. Keine Aufregung«, murmelte er verlegen, wobei er den dezenten Duft ihres Parfums genoss.

   »Sie müssen Monsieur Leonhard Kennenlernen.«

Jaqueline stockte der Atem.

   »Ich soll Ihn treffen? Den Mann, der jeden Freitag Literatur im Fernsehen vorstellt?«

Sie folgte Paul Etienne auf den Flur. Er führte Jaqueline Vierge durch Korridore und Büros, voll von Stimmengewirr und Druckergeräuschen, durch ein Labyrinth von Trennwänden und Schreibtischen. Vor einer Tür, der einzigen geschlossen, wie Jaqueline bemerkte, blieb er stehen. Bevor sie eintraten, fasste Etienne sie am Arm.

   »Jetzt geht es um ihre finanzielle Zukunft. Der Vertrag ist bereits fertig. Viel Glück.«

Er drückte die Klinke herunter und hielt ihr die Tür auf.

   »Monsieur Leonhard erwartet Sie.«

Fleischgrau eingefärbt, mit großen Ohren versehen und verkniffene Gesichtszüge, ein übergroßes Ei strahlte ihnen entgegen. Das Ei saß zwischen einem mit Schulterpolstern erweiterten Jackett, die Arme rahmten auf dem sonst leeren Schreibtisch einen ausgedruckten Vertrag ein. Die Pflanze auf der Ecke des Glastisches ähnelte einer Mischung aus Schlingkraut und Efeu. Ein Ableger hing über dem Rand. Hinter ihm verstrahlten aus Acryl gefertigte Regale neoklassisches Flair. Bücher standen in militärischer Disziplin Spalier, Zeitschriften unterlagen der Hierarchie ihrer Größe.

   Jaqueline sah zu den weit geöffneten Fenstern zur Strasse. Instinktiv zog sie ihren Blazer fester zusammen. Die warme Luft des Nachmittags verwirbelte in dem Ventilator an der Decke. Pierre Etienne verstand ihre Geste. Auch in seiner Empfindung, hätte die Möblierung allein gereicht, zu frieren.

   »Edgar, hier bringe ich Ihnen Mme Jaqueline Vierge.«

Die Augen auf dem Ei begutachteten sie. Ein Mann, fünfzig Jahre alt, stand auf und hielt ihr die Hand über die Glasplatte entgegen. Seine Tonlage erinnerte an den Kirchgesang junger Knaben.

   »Verwischte Träume im Wind, ja? Ich hoffe, der Titel ist verhandelbar.«

Jacqueline drückte seine Hand ebenso fest, sehr zum Erstaunen des Verlegers. Sie begegnete seinem Blick ausreichend lange.

   »Ich hoffe, Sie bekommen die Druckkosten wieder herein Monsieur. Das ist mein erster Versuch. Entsprechend meinem Nachnamen nehmen sie meine literarische Jungfräulichkeit.«

Edgar Leonhard lachte.

   »Wir werden mehr hereinbekommen und eine Menge davon drucken.«

Er rückte einen Sessel neben seinen Schreibtisch und winkte ihr zu. Pierre Etienne, der auf dem hinteren Sofa Platz nahm, ließ er völlig unbeachtet.

   »Langjährige Erfahrungen mit Künstlern haben mich gelehrt, zuerst über Geld zu reden. Das mindert die Empfindsamkeit.«

Jaqueline antwortete nicht darauf. Sie hörte zu. Der Verleger schaute auf den Vertrag.

   »Vorschüsse für erste Romane liegen üblicherweise zwischen fünfhundert bis tausend Euro. In Ausnahmefällen waren es auch schon mal eintausendfünfhundert.« Leonhard nannte einen Titel, der vor Jahren ein Bestseller war.

   »Mme Vierge, Sie haben keinen Agenten?«

Jaqueline zuckte mit den Achseln.

   »Nein. Brauch ich einen?«

   »Ich kann Ihnen nicht raten Prozente ihrer Tantiemen wegzugeben. Ich kann Ihnen aber auch nicht raten, mit meiner Milde und Großherzigkeit zu spekulieren.«

Jaqueline zupfte an ihren Rock und richtete den Blazer zu Recht.

   »Sie verdienen nichts damit, ihre Autoren über den Tisch zu ziehen.«

   »Genau richtig.« Edgar Leonhards freundliche Stimme glich dem Schnurren einer Katze, die eine Maus im Maul trug.

   »Was ist mit dem Vorschuss?«

   »Ich möchte fünftausend Euro«, sagte Jaqueline mit einem Lächeln im Gesicht.

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