Die zehn Gebote des Schreibens
1. Du sollst keine Figuren in ein vorhandenes Handlungsgerüst einstreuen, denn sonst erntest Du Stückwerk. Am Anfang war die Figur und dann das Wort, und die Worte der Figur brachten die Handlung hervor.
2. Du sollst deinen Helden Fehler und deinen Schurken Tugenden anhaften. Denn es sind die Fehler, die den Helden zum Leben erwecken, so wie die Tugenden des Schurken der Honig sind, mit dem er die Unschuldigen verführt.
3. Deine Figuren sollen stehlen, töten, Vater und Mutter nicht ehren, falsches Zeugnis ablegen und ihres Nächsten Haus, Weib, Knecht, Magd, Ochsen und Esel begehren. Denn die Leser gieren nach solchen Dingen und gähnen vor Langeweile, wenn deine Figuren demütig, unschuldig, verzeihend und friedfertig sind.
4. Du sollst keine Abstraktionen säen, denn wie ein Liebender fühlt sich der Leser zum Besonderen hingezogen.
5. Du sollst nicht murmeln, flüstern, grollen, fauchen oder brüllen, denn die Wörter selbst und nicht ihre Beschreibungen sind das Transportmittel ihrer Lautstärke.
6. Du sollst deinen Leser mit Unruhe, Angst und nervöser Spannung anstecken. Denn dieselben Zustände, die ihm im Leben verhasst sind, bereiten ihm im Roman allerhöchste Freude.
7. Deine Sprache soll präzise, klar und auf Engelsflügeln daherkommen, denn alles Geringere gehört in die Welt der Krämer und Gelehrten, nicht der Schreibenden.
8. Du sollst nicht am siebten Tage ruhn, denn deine Figuren leben in deiner Fantasie und in deinem Gedächtnis jetzt und in alle Ewigkeit.
9. Du sollst nicht vergessen, dass der Dialog eine fremde Sprache ist. Ein Ebenbild der Sprache, aber nicht ihr Chronist. Eine Sprache, in der das Direkte schwindet und das Indirekte widerhallt.
10. Vor allem aber sollst du deine Gefühle nicht an deinem Leser auslassen. Deine Aufgabe ist es, die Gefühle des Lesers zu wecken. Darin liegt vor allem anderen die wahre Kunst des Schriftstellers.
Ein Kommentar
Susanne Böhling
Wow!